Thursday 12 November 2015

BORIS ALJENKO

Nadjinka rieb sich ihre Füße unter der Wolldecke warm. „Chinesen schmatzen, wenn sie essen“, sagte sie, ohne es jemals selbst erlebt zu haben. Sie hatte Russland noch nie verlassen und noch nie einen Chinesen gesehen, bevor sich in Surgut ihre Kabinentür geöffnet hatte und zwei Geschäftsmänner aus der Mandschurei hereinkamen, dampfendheiße Nudelsuppe in den Schüsseln. Boris Aljenko leckte hinter seinen geschlossenen Lippen über die Schneidezähne und sah in die tief verschneite Taiga hinaus, in die sich der Zug langsam vortastete. „Nadjinka, Nadjinka“, dachte er, aber die Chinesen schienen offenbar nichts verstanden zu haben.

Sie saßen nur da, die Schüsseln auf ihrem Schoß, und nahmen von Boris und seiner Frau keine Notiz. Nach einer Weile sagte der eine etwas, so dass der andere laut auflachen musste. Da hatten sie gerade die letzten Häuser passiert, vor deren Türen die Fußspuren im Schnee noch nach Surgut wiesen. Sie waren noch soweit von Nadym entfernt wie der Sommer von diesem Ort, und Boris teilte mit Nadjinka zunehmend den Missmut, über einen halben Tag hinweg mit diesen beiden fremden Gestalten ihr kleines Abteil teilen zu müssen. So sah es doch nun aus, oder etwa nicht, „Sie fahren doch nach Nadym?“, fragte Boris den Chinesen ihm schräg gegenüber. Der aber reagierte nicht.

„Fahren Sie nicht nach Nadym?“, fragte Boris ihn erneut. Auch Nadjinka sah sich jetzt nach ihnen um, und diesmal schauten die Chinesen auf. Aber dann stand plötzlich der Schaffner in der Kabinentür. Seine Fingerknöchel drückten sich weiß aus seiner Hand, mit der er die Rolltür in ihrer Position hielt. „Es tut mir leid, wenn ich Ihnen das sagen muss, aber wir werden nicht viel weiter als Kogalym fahren können.“ Der Schnee habe weiter im Norden die Gleise verschluckt. Da gäbe es kein hin und zurück. Kogalym also. Eine Woche, bis der Zug es erneut versucht. Und die Chinesen? „Nadym, Nadym“, sie grinsten Boris an und zeigten auf sich selbst.

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